Samstag, 11. April 2009

31/8

Als ich neulich, wegen menschlichen Schadens auf der Schiene, nach Dresden wollte aber in Leipzig notwassern musste, setzte ich mich kurzerhand in die Lounge der Bahn. Auf den ungemütlichen Sesseln wird einem der Weiterreiseimpuls quasi in den Podex implementiert und nach ein paar kostenlosen Pepsis fuhr auch schon der Anschlusszug gen Dresden. Da das mein letzter Zug für den Tag war, hatte ich das erste Klasse Ticket nochmal auf Teufel komm raus ausgereizt, bis mich die Bahnfrau hinter dem Tresen böse anguckte und mit einem Locher wedelte. "Aber das gönnst du dir noch.", dachte ich so bei mir, schließlich war ich zwei Stunden länger unterwegs als geplant, hatte mehrere Züge nicht erwischt wegen besagtem Lebensmüden und war fast über Land verschütt gegangen, so unbekannt waren mir die Stationen, an denen der Ersatzzug hielt. Eisenach. Jena. Kannte ich alles nicht. Würde mich aber jemand fragen, könnte ich mit Stolz behaupten, dass ich schon einmal in Jena, ja sogar in Eisenach gewesen bin. Ob mir das jemals das Leben retten sollte, muss ich wohl abwarten, aber man weiß ja nie wann man einmal von einem geographiesüchtigen Mann von Welt gefangen gehalten und auf böse Weise mit Fragen gelöchert wird. Sollte man eine nicht beantworten, wird man mit einem Messer gelöchert. Da mein Wissen über die deutsche Landschaft verhalten ist, vermag mir zu hoffen übrig bleiben, meine Antwort Jena oder wahlweise Eisenach, ist die Antwort auf die Frage die meinem Tode entgegenwirken könnte.

Soviele Männer von Welt sind heutzutage aber anderweitig beschäftigt, dass sie garnicht die Zeit haben Unkundige mit Messern zu perforieren. Die abkömmliche Hälfte ist damit beschäftigt in Zugabteilen rumzustehen und zu erschricken, wenn sich die automatische Abteiltür schließt, zwischen der sie sich kurz vor dem Aussteigen mit ihrem wuchtigen Gepäck platziert haben. Ich habe einmal einer alten Dame aus dem Zug geholfen, die hatte dermaßen wuchtiges Gepäck, dass ich mich gefragt habe was da wohl drinne ist. Da ich selber schon immer mit zuviel Klimbim verreise, war mir rätselhaft was ein altes Ömchen in einem Koffer meiner Größe transportieren sollte. Stützstrümpfe und Taschengeld für die Enkel, vielleicht sogar eine Kombination, gegossen zu expressionistischen Büsten mithilfe von Beton und einem Marmorschild, auf dem steht "Oma hat euch lieb." Derlei könnte man tatsächlich mit sich rumschleppen, muss aber damit rechnen beim verlassen des Zugs einen Freiflug auf den Bahnsteig einzulösen. Ich trug der alten Dame also ihre Büsten, die betonierten, aus dem Zug, sie bedankte sich und ging ihres Weges. Meine eigene Oma hat öfter die Angewohntheit, bereits ihre Engelsflügel herbei zu reden, die sie einmal im Tode tragen möchte. "Dann fliegt eure Oma davon!", sagt sie dann immer, und ich antworte jedesmal: "Ja, die Treppe runter.", woraufhin sie sich ein wenig freut und lacht. Einer der wenigen Witze, die nie alt werden, man muss ihn nur mit genug Überdruß vortragen und schon klingt er fast famos.

Als ich aber noch nicht in Eisenach war, fielen mir die lustigen Schilder in den Bahnhöfen auf, die immer an den Gleisen stehen und vor sich hin predigen, was nur den wenigsten Verständlich sein dürfte. Ich wollte eigentlich erst recherchieren bevor ich darüber schreibe, das erschien mir aber langweilig, die Bedeutung ist vermutlich fad. Also überlegte ich, was es denn mit 31/8 auf sich haben könnte. Vielleicht ein Binomialkoeffizient, der bei genauer Berechnung die restliche Wegstrecke offenbaren würde, die ich noch zurücklegen musste. Ich hatte allerdings keinen Taschenrechner anbei und die Zahl war vermutlich fürs Kopfrechnen zu sperrig. Vielleicht war die 8, im asiatischen Raum die Zahl des Glücks, ein Bote von nahendem Glück, für Zug und Gäste, die an diesem Tag noch wenig Glück hatten. 8 ist auch ein Symbol für die Ewigkeit, woraus ich schloss, dass in 31 Kilometern das ewig andauernde Glück beginnen sollte, sprich der Himmel würde sich auftun, meine Oma würde vorbeifliegen und alle Sorgen wären vergessen. Aber dann wars doch nur Eisenach.

Das ist die Geschichte, wie ich lernte, Eisenach zu verachten.

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